Montag, Juni 26, 2006

Der Meister & Margarita

Selbstbezüglichkeit ist eine liebgewonnene Spielerei postmoderner Romane. Der Autor erwähnt sich selbst oder den Titel seines Romans innerhalb der Geschichte und verwischt somit die Grenzen zwischen der Lebenswirklichkeit des Lesers und der Realität der Romanwelt. Es gibt auch eine andere Möglichkeit: ein Protagonist innerhalb der Handlung „verrät“ wie oder mit welchem Satz die selbige zu Ende geht.
„Genau! Pilatus eilte dem Ende zu, und ich wusste schon, dass die letzten Worte des Romans so lauten würden: ‚… der grausame fünfte Prokurator von Judäa, der Ritter Pontius Pilatus‘.“ (S. 137)
Und genau mit diesen Worten endet dann auch der Roman „Der Meister und Margarita“, in welchem der fiktive Meister von seinen Romanplänen über Pontius Pilatus berichtet. Dieses Ende lässt unter anderem die Interpretation zu, dass Bulgakow, der Autor, mit dem Meister einen Teil seiner eigenen Lebensgeschichte erzählt. Oder der Leser bekommt das Gefühl, den fertigen Roman des Meisters in Händen zu halten, dessen Manuskript eigentlich im Laufe der Geschichte den Flammen geopfert wird. Wie auch immer: Rekursion bindet uns Schleifen in die Nervenstränge.

Michail Bulgakow schrieb dieses fantastische Buch in der Sowjetunion der dreißiger Jahre, der Zeit stalinistischen Terrors und Massenmordes. Das Buch durfte aus verschiedenen, pseudopolitischen Gründen damals nicht erscheinen und Bulgakow verstarb, ohne die Veröffentlichung seines „Meister“-Werks erlebt zu haben. Erst in den Jahren 1966-67 wurden Auszüge publiziert, erst in der Sowjetunion und anschließend als kompletter Roman in Deutschland (West).

Siehe auch hier: "Diese Überschrift spricht von sich selbst"